Interview mit dem rennomierten Klimaforscher Stefan Rahmstorf

Hinweis: Das Interview entstammt der aktuellen Ausgabe von Das Buch
als Magazin. Fotos: Hieronymus Ahrens

Herr Rahmstorf, wir treffen uns im Mai 2018 zu diesem Gespräch.
Gerade haben wir den wärmsten April seit Messbeginn hinter uns.
Trotzdem verbrennen wir weiterhin Kohle zur Energiegewinnung. Das
entstehende CO2 bleibt in der Atmosphäre und verhindert, dass
einfallende Sonnenstrahlung wieder ins All entweicht. Die Erde
heizt sich auf. Belastet Sie diese Entwicklung und die Tatsache,
dass wir auf eine Wand zufahren? Natürlich belastet mich das.

Wie gehen Sie damit um?
Ich versuche, damit professionell umzugehen, so wie ein Notarzt,
der täglich mit Schwerverletzten zu tun hat und nicht ständig
emotional reagieren darf. Aber das Gefühl, dass wir eine sehr
schlimme Zukunft vor uns haben, sickert ins Unterbewusste.

Seit mehr als einem Jahr folge ich Klimaforschern und
Fachjournalisten auf Twitter. Jeden Tag lese ich von neuen Studien
über schnell schmelzende Polkappen oder von Temperaturrekorden. Ein
deprimierender Hagel an schlechten Meldungen. Und das ist bei mir
wahrscheinlich noch schlimmer als bei Ihnen: Ich folge auf Twitter
fast ausschließlich Leuten, die sich mit Klimawandel beschäftigen.
Täglich gibt es neue schlechte Nachrichten.

Was macht das mit Ihnen?
Manchmal zieht mich das runter. Andererseits mache ich diese Arbeit
seit 25 Jahren und werde das wohl bis zum Ende meines Lebens tun.
Man lernt, damit umzugehen.

Sie forschen seit 1996 am Potsdam-Institut für
Klimafolgenforschung, kurz PIK. Wie hat sich Ihre Arbeit seither
geändert? Früher haben wir mehr an der Diagnose des Problems
gearbeitet, am grundlegenden Verständnis des Klimasystems. Heute
wissen wir so viel über das Klimaproblem, dass man sich schon
manchmal fragt: Wozu noch eine Studie, die wieder nur einen Aspekt
noch besser in der Fachliteratur belegt? Was bringt das noch? Wir
wissen längst genug, um zu handeln.

Wie viele Arbeiten zum Klimawandel erscheinen jährlich?
Weltweit kommen in der Fachliteratur über 20.000 Studien zur
Klimaveränderung heraus.

Die Zahl klingt gerundet.
Es gibt die Literaturdatenbank für wissenschaftliche Artikel, das
Web of Science. Wenn Sie als Suchwort „climate change“ eingeben,
bekommen Sie für den Jahrgang 2017 20.000 Treffer. Ich sehe es auch
daran, wie häufig meine eigenen Studien in anderen Arbeiten zitiert
werden: In den vergangenen Jahren jeweils über 1000-mal.

Sie wurden 2017 von der American Geophysical Union mit dem Preis
für Klimakommunikation ausgezeichnet, als erster Forscher außerhalb
von Nordamerika. War Ihnen immer bewusst, dass Sie mit Ihrem Fach
viel in der Öffentlichkeit stehen würden? Vor der Zeit am PIK war
ich am Institut für Meereskunde in Kiel. Damals nahm mich ein
leitender Professor beim Bier zur Seite und sagte: Nur schlechte
Wissenschaftler sprechen mit Journalisten.

Wirklich?
Damals in Kiel fragten ältere Professoren auch, warum wir denn
überhaupt eine Webseite für das Institut bräuchten? Heute haben wir
am PIK eine Presseabteilung, die aktiv mit Medien arbeitet. Anders
als im angelsächsischen Raum hat sich in Deutschland die Kultur,
dem Laienpublikum Wissenschaft zu vermitteln, erst spät entwickelt.

Vor unserem Gespräch habe ich überlegt, was ich in Ihnen sehe. Auch
wenn es weit hergeholt wirkt: Ich musste erst an einen Polizisten
und dann an einen Therapeuten denken. Dem Polizisten klage ich
meinen Unmut über Klimasünder, und der Therapeut soll mir helfen,
meine Angst vor dem sich wandelnden Klima zu bewältigen … Auf diese
Vergleiche wäre ich nicht unbedingt gekommen. Ich bin ein
Wissenschaftler, der mit gewisser Leidenschaft mit Laien
kommuniziert. Ich will erklären, was passiert. Als Schüler las ich
mit Begeisterung populärwissenschaftliche Bücher über Astronomie
und die Entstehung des Kosmos. Diese Begeisterung, die mir als
Jugendlicher für die Wissenschaft vermittelt wurde, würde ich gerne
weitertragen.

Lange Zeit war die Debatte zum Klimawandel mit einem Blick in die
Zukunft verbunden. Studien bezogen sich auf das Klima im Jahr 2100.
Jetzt gerade unterhalten wir uns in einem Frühjahr, in dem in
Pakistan bereits mehr als 50 Grad Celsius gemessen wurden. Ein
Rekord. In den trockenen deutschen Wäldern vermehren sich die
Borkenkäfer wie verrückt. Jedes Regenfeld, so scheint es, ist
sofort ein Starkregenfeld, das in zwei Stunden die
Niederschlagsmenge eines Vierteljahres mit sich bringt. Wir stecken
mittendrin, oder? Natürlich, das ist deutlich zu spüren. Die Dinge
entwickeln sich schneller als vorhergesagt.

Wie meinen Sie das?
Eines meiner Forschungsgebiete ist der Meeresspiegel. Ich bin
lustigerweise durch Klimaskeptiker zu dem Thema gekommen, die
behaupteten, der Meeresspiegel steige gar nicht so stark an, wie
vom IPCC, dem Intergovernmental Panel on Climate Change,
vorhergesagt. Ich dachte: Hm, stimmt das denn? Ich lud mir die
Daten und die IPCC-Projektion auf meinen Rechner und stellte fest:
Ups, der Meeresspiegel steigt ja viel schneller, als vom IPCC
vorhergesagt! In der Fachzeitschrift „Science“ habe ich dann einen
Artikel mit dem Titel „Vergleich von Klimamessdaten mit
Projektionen“ publiziert. Der IPCC hat in der Vergangenheit immer
wieder wesentliche Entwicklungen unterschätzt.

Wie kann das sein?
Das liegt am Konsensprinzip des IPCC. In den IPCC-Berichten finden
Sie den kleinsten gemeinsamen Nenner einer großen Zahl Forscher,
das führt natürlich zu zurückhaltenden Einschätzungen. Die werden
leider von der Wirklichkeit teilweise überholt.

Ich habe gut 30 Menschen in meinem Umfeld gefragt, ob ihnen der
Klimawandel Sorgen bereite. Fast alle nehmen an, die Folgen würden
sie zu ihren Lebzeiten nicht mehr treffen. Zugleich erleben wir bei
uns Regenereignisse, bei denen in zwei Stunden 200 Liter Regen
fallen. Das sind doch bestens sicht- und fühlbare Signale des
Wandels, oder? Bei jedem Wetterereignis spielt immer eine starke
Zufallskomponente mit. Die Frage, die wir uns als Klimaforscher
stellen, ist normalerweise nicht: Ist jetzt dieses Wetterereignis
eine Folge des Klimawandels? Wir fragen uns: Erleben wir diesen
Typus von Wetterereignis durch den Klimawandel häufiger? So wie
Rauchen die Häufigkeit von Lungenkrebs erhöht, bringt uns die
globale Erwärmung mehr Wetterextreme.

Aber liegt nicht ein hilfreiches Element dahinter? Wenn Menschen
direkt betroffen sind und einen Zusammenhang zwischen
Einzelerfahrung und Klimawandel herstellen, neigen sie eher dazu,
sich zu engagieren. Bleiben wir einen Moment bei den Zigaretten:
Als Raucher sollten Sie vor allem wissen, dass Ihre Gewohnheit Ihr
Lungenkrebsrisiko um einen bestimmten Faktor erhöht.

Okay.
Ob der einzelne Lungenkrebs Ihres Bekannten nun auf Rauchen
zurückzuführen war oder auch sonst aufgetreten wäre, ist dagegen
weder sicher feststellbar noch praktisch relevant.

Hm.
Wir kaufen uns durch die globale Erwärmung häufigere und
verschärfte Wetterextreme ein. Diese Extreme spüren wir bei der
globalen Erwärmung als Erstes. Der Meeresspiegel hingegen ist eine
Komponente des Klimasystems, die langsam und träge reagiert. Bisher
haben wir 20 Zentimeter Anstieg hinter uns, von denen merkt der
Normalbürger so gut wie nichts. Die Wetterextreme aber spüren wir
heute schon alle: Rekordhitzewellen, Dürren, besonders starke
Tropenstürme oder extreme Starkregenereignisse.

Ein Philosoph, mit dem ich über den Klimawandel sprach, sagte mir:
Vielleicht geschieht etwas, wenn es die Ersten trifft, die etwas
machen könnten. Ist das schlüssig? Das ist eine Illusion. 2003
hatten wir in Europa einen Jahrhundertsommer mit 70.000 Hitzetoten.
Stellen Sie sich mal vor, Terroristen würden in Europa 70.000
Menschen umbringen – wir wären bereit, den Rechtsstaat aufzugeben,
nur um dagegen anzukämpfen! Bei einer extremen Hitzewelle aber
zucken die Leute mit den Schultern. Dabei sind wir auch in den
reichen Ländern längst vom Klimawandel betroffen. Die Stadt Houston
wurde durch Hurrikan Harvey 2017 von einem nie da gewesenen Regen
überflutet.

Damals fielen teils mehr als 1200 Liter Wasser pro Quadratmeter vom
Himmel. Mehr als in Berlin in einem ganzen Jahr. Die Auswertungen
ergeben eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies ohne globale
Erwärmung nicht passiert wäre.

Warum reagieren wir nicht?
Anders als etwa bei der Finanzkrise verläuft die Entwicklung
langsam. Bei der Bankenrettung musste die Politik innerhalb von
Wochen handeln, um Schlimmes zu verhindern. Das Klima aber
verändert sich nur allmählich, und die Politik kann sagen: Wenn wir
das Klimaziel für 2020 nicht einhalten, dann halten wir eben das
für 2030 ein.

So hat es die aktuelle Bundesregierung gerade wieder gemacht.
Ein weiteres großes Problem für die öffentliche Diskussion ist: Die
Menschen können nicht mit dem Finger auf andere böse Menschen
zeigen. Sie fühlen sich ja durchaus selbst verantwortlich. Sie sind
sich ihrer Schuld bewusst und reden lieber nicht darüber. Wenn Sie
ein Gespräch über Klimawandel im Bekanntenkreis anfangen – Sie
haben es ja offenbar probiert …

Es war nicht besonders ergiebig.
… dann wollen die Menschen schnell aktiv das Thema wechseln. Die
norwegische Sozialforscherin Kari Norgaard beschreibt, wie der
Klimawandel in Gesprächen mit Freunden und auf Partys ganz aktiv
vermieden wird. Einmal hatten wir eine Schriftstellerin aus Indien
im Künstlergastprogramm des PIK. Sie wurde zu einem Botschaftsessen
mit verschiedenen Menschen eingeladen. Reihum ging die Frage: Was
machen Sie denn so? Die Leute erzählten von ihren Projekten, und
alle hörten interessiert zu. Als die Inderin erzählte, dass sie an
einem Buch über den Klimawandel schreibe, kam sofort die Frage: Ach
so – und was machen Sie sonst so? Schnell wurde abgelenkt und über
ein anderes Thema geredet.

Erklärt unser Schuldgefühl diese Reaktion?
Nicht allein. Wir sind überwältigt im Angesicht der Größe des
Problems. Wir fühlen uns hilflos. Und die massive
Klimaleugnermaschinerie ist auch ein Problem. Ständig werden
Zweifel an der Forschung gesät. Die Menschen haben Angst, in eine
wissenschaftliche Debatte zu geraten, von der sie nichts verstehen.
Der eine hat dies gelesen, der andere das, und keiner weiß Genaues,
also äußert er sich lieber gar nicht. Das ist anders als bei der
Flüchtlingsdebatte. Dort geht es vor allem um ethisch-moralische
Fragen, zu denen jeder eine Haltung hat.

Sie haben in den vergangenen Jahren viele Vorträge gehalten und mit
Journalisten gesprochen. Sie haben öffentlich aufgeklärt. Sind Sie
mit der Resonanz zufrieden? Das ist keine leichte Frage. Wenn ich
von außen draufschaue, bin ich natürlich nicht zufrieden mit der
Resonanz. Auch wenn es pathetisch klingt: Unsere menschliche
Zivilisation ist in Gefahr. Ich würde erwarten, dass die Politiker
der neuen Regierungskoalition ständig von Bürgern und Journalisten
gefragt werden: Was macht ihr gegen diese Bedrohung? Das passiert
aber nicht. Und dennoch sehe ich kleine Erfolge.

Wo?
In Deutschland haben wir einen fantastischen Ausbau der
erneuerbaren Energien erreicht. Deren Anteil am Stromverbrauch lag
letztes Jahr bei 36 Prozent. Die Technologien in diesem Bereich
werden immer besser. Das Problem ist, dass wir vergessen haben, die
Kohlekraftwerke abzuschalten: Die Betreiber verkaufen den nicht
benötigten Strom ins Ausland. Also bleiben die Kraftwerke am Netz.
Die Regierung müsste den Ausstieg aus der Kohle schnellstmöglich
vorgeben. Wir können nicht erwarten, dass privatwirtschaftlich
orientierte Kraftwerksbetreiber von sich aus handeln, wenn sie den
Strom noch verkaufen können.

Ich bin in einem voll besetzten Zug zu unserem Gespräch gefahren,
in dem fleißige Menschen Telefonate mit Kunden führten – das
sichtbare und hörbare Zeichen einer boomenden Wirtschaft. Wird
diesem Aufschwung der Kampf gegen den Klimawandel geopfert, weil
wir keine Geschäfte behindern wollen? Ich sehe es so: Wir erleben
einen Boom und sehen sprudelnde Steuereinnahmen. Die Regierung hat
sehr viel Geld. Das sind die optimalen Voraussetzungen, um in ein
nachhaltiges Wirtschaftssystem zu investieren, um die drohende
katastrophale Klimaerwärmung abzuwenden. Ich wundere mich, warum
das nicht ganz oben auf der Agenda der Regierung steht.

Warum entsteht der Druck auf die Politik nicht?
Wir sind Negativnachrichten gewohnt: „Klimaziel wieder nicht
erreicht.“ Die Menschen lesen das, resignieren und verdrängen. Ein
psychologischer Mechanismus: Ehe ich mich von dem überwältigenden
Ausmaß des Problems niederdrücken lasse, verdränge ich es. Wir
verkennen dabei, dass das Problem lösbar ist! Es lohnt, sich zu
engagieren und die Politik immer wieder zu mahnen. Wir geben zum
Beispiel immer noch ein Vielfaches jenes Geldes, mit dem wir die
erneuerbaren Energien fördern, für die Subvention der fossilen
Energien aus.

Weltweit gibt es zurzeit nur eine Handvoll Initiativen, die sich
der Frage widmen, wie wir das CO2 wieder aus der Atmosphäre holen
könnten. Wenn wir Emissionen schon nicht vermeiden können – sollten
wir dann nicht wenigstens überlegen, wie wir sie einfangen? Es gibt
in der Wissenschaft einiges an Forschung dazu, die aber keine
wirklich guten Optionen aufgezeigt hat. Wenn ich ein Gas in
winzigen Konzentrationen in der Atmosphäre verteile und es wieder
einfangen will, kämpfe ich gegen den zweiten Hauptsatz der
Thermodynamik: Gase vermischen sich von selbst, sie wieder zu
entmischen ist nur mit sehr hohem Aufwand möglich. Warum blase ich
das Gas dann überhaupt in die Atmosphäre? Es ist viel schwieriger,
es herauszuholen, als es gar nicht erst zu emittieren. Selbst die
Abscheidung am Kohlekraftwerk, am Schornstein, wo das CO2 noch hoch
konzentriert vorliegt, hat sich als teuer und aufwendig erwiesen.

Das Schweizer Start-up Climeworks betreibt eine Testanlage, die CO2
aus der Luft holt. Die Gründer deuten an, die Kosten für das
Filtern einer Tonne könnten mittelfristig auf bis zu 100 Euro je
Tonne sinken. Muss die Politik einen CO2-Preis einführen? Auf jeden
Fall. Wenn ich einen Anreiz setzen will, CO2-Emissionen einzusparen
– und zwar überall, wo sie anfallen –, dann ist der effektivste
Weg, die Emissionen mit einem Preis zu versehen. Die Briten haben
vor einigen Jahren einen CO2-Preis von 25 Euro je Tonne eingeführt
und die Kohle damit weitgehend aus dem Markt gedrängt. Ihre
fossilen CO2-Emissionen sind dadurch auf das Niveau von vor 1890
zurückgefallen!

Die CO2-Konzentration wird in Volumenprozent gemessen, in
sogenannten parts per million, kurz ppm. Ein aktueller Wert,
gemessen auf Hawaii, beträgt 408 parts per million. Der
Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale
Umweltveränderungen (WBGU) empfiehlt unter Ihrer Beteiligung, die
Konzentration von CO2 in der Atmosphäre sollte langfristig den Wert
450 nicht übersteigen. Maximal.

Es ist demnach nicht mehr viel Luft.
Nein.

Werden wir des Problems eigentlich schon nicht mehr Herr?
Das ist zu befürchten. 2015 verabschiedeten die Staatschefs das
Pariser Abkommen. Darin steht, man möchte bei der Erwärmung des
globalen Klimas „deutlich unter 2 Grad“ bleiben. Wobei das
„deutlich unter“ gerne unterschlagen wird. Nicht eine
„2-Grad-Grenze“, sondern eine „Deutlich-unter-2-Grad-Grenze“ steht
im Abkommen, mit der Ambition, den Anstieg der Erwärmung bei 1,5
Grad zu stoppen. Das ist heute schon fast utopisch. Um das noch in
den Bereich des Machbaren zu rücken, müsste man jetzt sehr schnell
und sehr entschlossen handeln. Und Glück haben.

Inwiefern Glück?
Es gibt eine Unsicherheitsmarge. Wir wissen nicht genau, wie viel
Spielraum wir haben, um noch unter 1,5 Grad zu bleiben. Das heißt,
wir müssen auf der guten Seite dieser Marge sein, damit es klappen
kann. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, aber mit der jetzigen
Politik ist es undenkbar, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Mit dem,
was die Länder an Emissionsminderung bis 2030 versprochen haben,
werden wir auch nicht unter 2 Grad bleiben, sondern auf 3 Grad
zusteuern.

Das PIK ist von einem grünen Campus umgeben. Was geht durch Ihren
Kopf, wenn Sie Anfang April bei 25 Grad dort spazieren? Ich mag
warmes Wetter und bin dieses Frühjahr schon viel in unserem
örtlichen See in Potsdam geschwommen. Gleichzeitig sagt mein
Verstand: Hoppla, das sind ja hier Bedingungen wie im Juli. Das
beunruhigt mich. Dann beruhige ich mich damit, dass die globale
Durchschnittstemperatur im normalen Rahmen weiter ansteigt. Das
warme Frühjahr ist kein Beleg für eine galoppierende Erwärmung.
Dass es hier so warm war, ist, zunächst, ein regionaler Effekt, das
Ergebnis einer Anomalie.

Wie kommt es zu den Anomalien?
Unser Wetter wird vom Jetstream beeinflusst, einem Windband von
West nach Ost in höheren Luftschichten, getrieben vom
Temperaturkontrast zwischen Arktis und Subtropen. Der Jetstream
wird instabiler, weil die Arktis wärmer wird. Er wird schwächer und
schlägt größere Wellen von Nord nach Süd. Ähnliches gilt im
Winterhalbjahr für den Polarwirbel in der Stratosphäre über der
Arktis: Er hält normalerweise wie ein Zaun die Kaltluft über dem
Pol. Die bricht jetzt aber immer häufiger aus, wie eine Doktorandin
unseres Institutes gezeigt hat. So bekommen wir extrem hohe
Temperaturen in der Arktis, während die polare Kaltluft über
Eurasien oder Nordamerika sitzt. Beides haben wir im vergangenen
Winter erlebt.

Ein Freund sagte mir: Du machst dir doch nur Sorgen wegen des
Klimawandels, weil du Kinder hast und dich um deren Zukunft sorgst.
Über den Satz habe ich lange nachgedacht. Kann das sein? Wenn alles
gut geht, habe ich noch 50 Jahre auf dieser Welt vor mir – und
keine Gewähr, dass ich selbst diese Jahre in lebenswertem Klima
verbringen kann. Ich habe zwei Kinder, und ich habe mir schon
Sorgen gemacht, bevor ich die beiden hatte. Ich glaube auch, dass
mich der Klimawandel zu meinen Lebzeiten erheblich treffen wird.
Unsere Politik ist schon davon beeinflusst. Denken Sie an Syrien:
Die Unruhen im Land begannen nach den schlimmsten Dürrejahren der
Landesgeschichte. 1,5 Millionen Menschen flüchteten innerhalb
Syriens, weil die Ernten ausgeblieben waren, und das Vieh starb.
Die Menschen verließen ihre Dörfer und fanden sich in den
Randgebieten von Homs und Aleppo ein. Das führte zu einer großen
sozialen Unzufriedenheit. Die Regierung half den Dürreopfern nicht.
So trugen Klimawandel und Dürre zu den Massenprotesten bei. Wir
wissen, wo das endete.

Im Syrienkonflikt, der noch immer andauert.
Es gibt Sedimentdaten aus dem östlichen Mittelmeer, die zeigen,
dass dies die schlimmste Dürreperiode seit mindestens 900 Jahren
war. Die besten, hochaufgelösten Modellsimulationen, die wir haben,
zeigen, dass diese Dürre sehr wahrscheinlich durch den Anstieg der
CO2-Konzentration in der Atmosphäre und durch die globale Erwärmung
wesentlich wahrscheinlicher geworden ist. Die Klimamodelle sagen
seit vielen Jahren robust vorher, dass der Mittelmeerraum aufgrund
der steigenden CO2-Konzentration in der Atmosphäre austrocknet.

Aber ist es redlich, den Konflikt ausschließlich auf das veränderte
Klima zurückzuführen? Natürlich kann man den Krieg nicht allein auf
die Dürre zurückführen. Aber wenn ein schwacher Staat, in dem es
bereits ethnische oder religiöse Spannungen gibt, durch eine Dürre
in eine akute Krise gestoßen wird, kann das zu Instabilität führen.
In einem Gutachten des WBGU haben wir dies schon 2007 als ein
mögliches Szenario geschildert: Fragile Staaten können durch eine
„Natur“-Katastrophe ihre Stabilität verlieren. Die
Flüchtlingsproblematik hängt mit dem Klimawandel zusammen. Hätten
wir ohne diese Entwicklung die AfD im Bundestag? Die Politik wird
vom Klimawandel zumindest beeinflusst. Und es ist leider nur ein
Vorgeschmack auf die Flüchtlingsbewegungen, die wir in einigen
Jahrzehnten bekommen werden, wenn sich die Dürren in anderen
Weltregionen verschärfen und es zu großen Ernteausfällen kommt.

Was raten Sie Ihren Kindern?
Ich rate meinen Kindern noch nichts, sie sind erst zehn und zwölf
Jahre alt und sollen eine unbelastete Kindheit haben. Ich denke
aber darüber nach und spreche mit meiner Frau: Wie bereitet man die
Kinder darauf vor, dass ihr späteres Leben als Erwachsene
wahrscheinlich nicht mehr so in Frieden und Wohlstand verlaufen
wird wie in meiner Generation?

Und?
Ich habe keine Lösung. Die einzige Vorbereitung, die ich kenne, ist
Bildung. Durch gute Bildung haben sie später bessere Chancen, mit
einer sich verändernden Welt umzugehen.

Es gibt Menschen wie Boyan Slat, der auf eigene Faust den Great
Pacific Ocean Garbage Patch aufräumen will, den riesigen
Plastikstrudel im Pazifik. Nach anfänglicher Skepsis bewundere ich
den Mann immer mehr. Fehlt dem Klimawandel Heldentum? Ich finde es
extrem bewundernswert, wenn Menschen ein Problem einfach anpacken.
Das gilt für Ihr Beispiel und auch für den Menschen aus
Brandenburg, der gesagt hat: Ich kaufe ein Schiff, fahre ins
Mittelmeer und rette Flüchtlinge vor dem Ertrinken. Das ist toll.
Ich selbst bin dafür zu sehr Wissenschaftler, dafür fehlt mir die
nötige Unternehmermentalität. Die Wind- und Solarenergie wurde auch
von solchen Pionieren entwickelt, die gesehen haben: Hier kann ich
konkret etwas ändern. An der Stelle habe ich Hoffnung. Je mehr sich
das Bewusstsein für das Problem ausbreitet, desto mehr clevere
Leute machen sich Gedanken über eine Lösung.

Was gibt Ihnen noch Hoffnung?
Der Fall der Mauer.

Wie meinen Sie das?
Als Student las ich Al Gores Buch „Earth in the Balance“. Er
beschreibt darin einen Sandhaufen am Strand. Ein Mensch lässt Sand
darauf rieseln, immer mehr. Lange Zeit bewegt sich nichts. Aber
irgendwann wird ein kritischer Punkt erreicht, und es kommt zu
einer Abrutschung. Plötzlich verändert sich was. Das gleicht dem
Konzept von den Kipppunkten im Klimasystem, das wir bei uns am
Institut erforschen: Viele Systeme bleiben bis zu einem kritischen
Punkt stabil, dann, ganz plötzlich, kippen sie um. Wie ein Kajak.
Es gibt auch im gesellschaftlichen Bewusstsein solche Kipppunkte,
an denen Dinge in Bewegung kommen, die man vorher nicht für möglich
gehalten hat: Auf einmal steht die ostdeutsche Bevölkerung auf,
geht in Massen auf die Straße und bringt friedlich das DDR-Regime
zu seinem Ende. Es wird der Punkt kommen, an dem die Gesellschaft
sagt: Jetzt müssen wir ganz drastisch etwas gegen die globale
Erwärmung unternehmen! An dem Punkt sind wir noch nicht. Der
politische Wille fehlt. Die Frage ist: Wie schlimm muss der
Klimawandel werden, bis wir so weit sind? Und ist es dann schon zu
spät? Das Klimasystem ist ein träges System. Es erinnert an die
Titanic, die auf den Eisberg zufährt. Legen wir erst zehn Meter
vorher das Ruder um, ist es zu spät. //

Interview: Peter Wagner

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Wir sind die Art Directorin Joanna Mühlbauer und der Journalist
Peter Wagner und geben seit 2013 Das Buch als Magazin heraus. Hier
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