Aufforsten oder nicht?

Es regnet! Und nicht zu knapp! Damit erhöhen sich die Überlebenschancen unserer Schnetter Baumpflanzaktion vom Frühjahr. Was schnell wachsen soll, braucht schließlich Wasser.

Jedes Mal, wenn ich das Pflanzgebiet durchquere, schiele ich nach den Minibäumchen. Erfreulich viele haben sich begrünt. Und dank des nassen und relativ kühlen Sommers werden sie wohl auch ihren ersten Herbst erleben und den Winter überstehen. Aber auch die noch völlig unbearbeiteten gerodeten Flächen hier oben auf unseren kahlen Höhen machen sich gut. Zwischenkulturen bilden sich ganz von selbst. Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Himbeeren und Brombeeren auf so wenigen Quadratkilometern gesehen und geerntet. Mehr Licht! Auch Wildkräuter wie Kamille und Sandthymian treten erfreulich zahlreich in den Vordergrund. Birken und Eschen werden sich in den nächsten Jahren schön breit machen und ihre Pionierrolle erfüllen.

Eigentlich steckt die Antwort auf die Aufforstungsfrage ja schon im Wort: Forst = Holzplantage = Monokultur. Wollen wir nicht, oder? Also gar nicht aufforsten? Das ertragen wir nicht. Also eröffnet sich eine ganze Welt möglicher Waldhilfsmaßnahmen.

Ich habe mal versucht, sie aufzulisten. Im Wesentlichen geht es wohl um drei Hauptvarianten: Aussaat, Pflanzung oder Nichtstun. Von Aussaat habe ich in unserem Waldgebiet noch nichts gehört. Falls sie stattfindet, ist sie ja aber eh erst einmal unsichtbar. Oder die Bäume säen sich selbst aus. Aussaat soll letztendlich aber zu viel gesünderen Bäumen führen. Pflanzung sorgt wohl eher für jede Menge Verluste durch falsches Einsetzen, Pflanzschock genannt. Da gibt es auch kaum Unterschiede zwischen pflanzenden Amateuren und Profis: Bäumchen setzen bleibt riskant, was die Überlebensrate angeht. Andere Varianten werden mit viel Fantasie ausprobiert: 1. Nicht roden und die Natur machen lassen. Dort wird sich ansiedeln, was will, und es wird jetzt schneller groß, was lange im Schatten der Fichten stand, mit und ohne Einzäunung. 2. Doch roden, in Ruhe lassen und mal schauen, was so passiert, ebenfalls mit oder ohne Umhainung. 3. Roden und anpflanzen von Mischwäldern aus verschiedenen einheimischen Laubbaumarten und auch Nadelbäumen, die wirklich einheimisch sind. Meist ohne Zaun, wenn ich das richtig einschätze. 4. Roden und anpflanzen von Exoten wie Mammutbäumen, dann wohl eher immer durch Zaun geschützt. 5. Die eine Variante, von der ich absolut nichts lese, ist die erneute Anpflanzung von Fichten in Reih und Glied. Man hat dazugelernt.

Dort, wo man sich für Aufforstung entscheidet, muss das Forstamt Einfallsreichtum beweisen, denn die Setzlinge brauchen Schutz. Kalkanstrich, mechanischer Verbissschutz oder Schonungszaun. Hilfe bekommen die Winzlinge auch durch ihre Platzierung, am besten nördlich hinter einem halbhohen Stubben. Mehr Schatten, mehr Feuchtigkeit. Viel mehr muss sich der Mensch nicht einbilden, tun zu können. Interessant wäre es zu erfahren, wie diese verschiedenen Experimente begleitet und dokumentiert werden. Was da nachwächst, braucht allerdings mehr als nur ein einzige Generation Beobachter und Pfleger. Jede Menge Stoff für die Diplomarbeiten zukünftiger Forstwirte!

Leider sind die Eigentumsverhältnisse unserer Forste streckenweise völlig unklar. Im letzten Jahr wurden in unserem Amtsblatt seitenweise Flurstücke aufgelistet und deren Besitzer aufgefordert, ihren Wal „aufzuräumen“. Ich möchte gern mal erfahren, wie viele Waldbesitzer gar nicht wissen, dass sie irgendwann mal Wald geerbt haben. Wo Besitzer unauffindbar sind, bleiben die Flächen wohl größtenteils ungerodet. Damit sind sie die Grundlage völlig neuer Biotope. Variante 1 wird anscheinend gewinnen. Die toten Fichten werden umfallen und dabei auch so manchen Jungbaum mit sich reißen. Für viele von uns ein ungewohntes Bild: ein unordentlicher Wald. Was in dieser Unaufgeräumtheit überlebt, ist wohl aber stark genug und gut gewappnet für kommende Jahrhunderte. Und wie ein Wald aussieht, den man 40 Jahre lang fast völlig in Ruhe lässt, sieht man ja auch am Hainich. Artenvielfalt allüberall. Und von Unordnung nichts mehr zu sehen. Ein europäischer Urwald ist kein undurchdringlicher Unterholzdschungel. Ich freue mich jedenfalls sehr auf unseren neuen, echten Wald. Vielleicht bleiben mir noch 25-30 Jahre, um meinen optimistischen Blick auf das Vergehen und Werden bestätigt zu bekommen. In diesen Jahren werde ich versuchen, meine eigene Dokumentation zu starten, indem ich jährlich zur gleichen Zeit und bei ähnlichem Wetter Fotos derselben Waldstücke mache. Eine spannende Zeit!